Bee-Washing: Honigbienen vs. Wildbienen

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Gut gemeint, schlecht umgesetzt. So könnte man viele Naturschutzmaßnahmen zusammenfassen, die Unternehmen und Kommunen momentan implementieren. Spätestens seitdem Jan Böhmermann „Bee-Washing“ thematisierte, befinden sich Honigbienen im Auge eines emotional aufwühlenden Shitstorms. Ob das gerechtfertigt ist, wollen wir in diesem Artikel ergründen. Wir werden dir die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorstellen und Klarheit schaffen, damit du dir selbst ein Bild machen kannst.

Fakt ist: Es herrscht viel Unwissenheit, wenn es um Bienen, Biodiversität und Naturschutz geht. Viel zu oft werden einfache Lösungen für komplexe Probleme propagiert, die nur einzelnen Tierarten zugutekommen. Am Ende des Tages führen allerdings manche dieser kurz gedachten Naturschutzmaßnahmen oft zu einer Verschlechterung des gesamten Ökosystems.

Dies ist leider auch bei vielen Honigbienen-Projekten der Fall, wie eine neue Studie aus Kanada belegt. In dem 2023 veröffentlichten Artikel zeigen Wissenschaftler:innen um Gail MacInnis, dass heimische Wildbienenarten von eingeführten Honigbienen verdrängt werden. Auch wenn das Ansiedeln von Honigbienen gut gemeint ist, kann es einen negativen Effekt auf die Artenvielfalt haben. Aus rein ökologischer Sicht ist es also nicht zielführend, Honigbienen anzusiedeln. Stattdessen macht es mehr Sinn, andere Naturschutzmaßnahmen umzusetzen. Diese erläutern wir dir im Folgenden.

Honigbienen vs. Wildbienen

Biene ist nicht gleich Biene. Das wissen bedauerlicherweise immer noch nicht genug Menschen, die bisher nur die Honigbiene kennen. Allein in Deutschland gibt es über 585 verschiedene Wildbienenarten und weltweit über 20.000. Jede einzelne Wildbienenart ist eine wichtige Komponente in ihrem jeweiligen Ökosystem, da sie bestimmte Pflanzen bestäubt oder anderen Tieren als Nahrung dient. Doch leider sind aufgrund des Insektensterbens in Deutschland 40 und 60 Prozent der Wildbienenarten vom Aussterben bedroht

Die Schwarze Holzbiene mit ihren blau schimmernden Flügeln.
Die Schwarze Holzbiene mit ihren blau schimmernden Flügeln. © Radfotosonn auf Pixabay 

Eine Bienenart, die nicht vom Aussterben bedroht ist, ist die Westliche Honigbiene (Apis mellifera). Neben Kühen und Schweinen ist die Honigbiene eine der am häufigsten gehaltenen Nutztiere in Deutschland. Imker:innen halten die Honigbiene, da sie leckere und gesunde Bienenprodukte, wie Honig, Propolis und Gelee Royal, produziert. Daneben leistet die Honigbiene auch wichtige Bestäubungsdienstleistungen in der Landwirtschaft. Und in Ländern wie Ghana sind Honigbienen eine Einkommensquelle für Menschen in ländlichen Gebieten. Honigbienen pauschal zu verteufeln ist zweifelsohne doof, da wir Menschen ohne sie weniger Obst, Gemüse, Nüsse und – natürlich – Honig hätten.

Imker:innen und ihre Honigbienen leisten der Menschheit also unschätzbare Dienste. Legen wir unsere anthropozentrische Weltanschauung aber kurz zur Seite, merken wir, dass natürliche Ökosysteme nicht zwangsläufig von Honigbienen profitieren. Dies gilt vor allem, wenn Honigbienenvölker von außerhalb in bestehende (und funktionierende) Ökosysteme eingeführt werden. Zum einen sind eingeführte Honigbienen direkte Konkurrenz für heimische Insekten: Wenn es eine begrenzte Anzahl an Nahrung gibt und plötzlich Millionen weitere hungrige Individuen eingeführt werden, wird die Nahrung für alle knapper. Zum anderen entstehen, wie bei jeder Massentierhaltung (und ja, Imkerei ist oft auch Massentierhaltung), Krankheiten und Parasiten, die auch auf andere Tiere überspringen können.

Rückgang der Artenvielfalt von Wildbienen in urbanen Ökosystemen

In ihrem Artikel „Decline in wild bee species richness associated with honey bee (Apis mellifera L.) abundance in an urban ecosystem“ belegt die Wissenschaftlerin Gail MacInnis genau diese Entwicklung in der kanadischen Großstadt Montreal. In ihrer Studie verglichen die Wissenschaftler:innen die Daten von Bienenpopulationen in Montreal im Jahr 2013 mit Daten von 2020. Innerhalb dieser sieben Jahre seien knapp 3.000 Honigbienenvölker nach Montreal eingeführt worden. Das mag auf den ersten Blick nicht nach viel aussehen. Aber wenn man bedenkt, dass ein gesundes Bienenvolk um die 50.000 Bienen hat, kann man davon ausgehen, dass mehr als 150.000.000 Honigbienen in die Stadt gebracht wurden.

Diese massive Einbringung von Honigbienen hinterlässt natürlich Spuren im Ökosystem. Milben, Viren und andere Pathogene wurden zusammen mit den Honigbienen in die Stadt geschleppt und befielen dort heimische Wildbienenarten. Außerdem konnte MacInnis zeigen, dass weniger Pollen an Orten vorhanden waren, wo es viele Bienenvölker gab. Insgesamt führten diese Faktoren dazu, dass der Artenreichtum von Wildbienen in Montreal seit 2013 signifikant abnahm.

Weniger Nahrung, mehr Krankheiten

Im Interview mit der Concordia Universität zieht Co-Autorin, Carly Ziter, einen passenden Vergleich: „Die Imkerei sollte nicht als Rettung der Bienen betrachtet werden. Wir halten ja auch keine Hühner im Garten, weil wir Wildvögel retten wollen.“ Statt Honigbienen zu halten, sollte mehr Lebensraum für andere Insektenarten geschaffen werden, so Ziter.

Tatsächlich gibt es eine Vielzahl an Naturschutzmaßnahmen, die nachweislich Insekten fördern und dabei keine anderen Tierarten schaden. Ein hervorragender Überblick bietet der interdisziplinäre Artikel „Solutions for humanity on how to conserve insects“, der von internationalen Wissenschaftler:innen im Jahr 2020 publiziert wurde.

Zunächst muss man sich klar werden, dass Naturschutzmaßnahmen Landschaftsspezifisch sind. Das bedeutet, dass es keine One-Size-Fits-All Naturschutzmaßnahmen für Wald, Wasser und Stadt gibt. In Städten und anderen urbanen Ökosystemen gibt es eine wissenschaftliche Basis für folgende Naturschutzmaßnahmen:

  • Das Anlegen von Blühstreifen mit heimischen Wildblumen
  • Der Einsatz von Fassaden- und Dachbegrünung
  • Die Erhaltung von alten Baumbeständen
  • Die Pflanzung von heimischen Sträuchern, Stauden und Bäumen
  • Das Anlegen von Grün- und Blauflächen
  • Lichtverschmutzung reduzieren
  • Nicht-reflektierende Photovoltaikanlagen benutzen

Diese Liste ist natürlich nicht vollständig und wächst immer weiter. Für Waldgebiete, Gewässer und für landwirtschaftliche Flächen gibt es andere Evidenz-basierte Maßnahmen, die im oben genannten Artikel nachzulesen sind. Um es kurzzufassen, sollte es bei allen Insektenschutzmaßnahmen darum gehen, „qualitativ hochwertige Lebensräume“ zu schaffen.

Fazit: Wie retten wir die Welt?

Die Biodiversität ist zu komplex, als dass man sie mit einer einzelnen Maßnahme retten könnte. Das Aufstellen von Honigbienenvölkern mag einen positiven Effekt auf Bestäubungsdienstleistungen haben, aber dafür leiden heimische Wildbienenpopulationen. Solche einfachen Lösungen werden den komplexen Verflechtungen des biotischen Lebens nicht gerecht und können sogar negative Effekte auf ganze Ökosysteme haben.

Statt sich auf einzelne Tierarten zu fokussieren, sollte Lebensraum für alle wild lebende Tiere geschaffen werden. Um dieses Ziel zu erreichen, sind viele kleine (und ein paar große) Schritte notwendig. Um Insektenpopulationen in Städte zu schützen und zu fördern, gibt es viele niederschwellige Maßnahmen, die einen positiven, messbaren Effekt haben. Das Anlegen von Blühstreifen oder der Einsatz von Dach- und Fassadenbegrünungssystemen sind vergleichsweise kostengünstig, wenn man bedenkt, dass Insekten das Fundament ganzer Ökosysteme sind. Das Aufstellen von Honigbienenvölkern hingegen wird leider nicht die Biodiversitätskrise oder das Insektensterben aufhalten.

+++English version +++

Bee-Washing: Honeybees vs. Wild Bees

The road to hell is paved with good intentions. Unfortunately, this is the case for many conservation measures currently being implemented by companies and cities. Ever since the German comedian, Jan Böhmermann, brought attention to “Bee-Washing,” honeybees have found themselves at the center of an emotionally charged shit storm. In this article, we aim to explore whether this controversy is justified. We will present current scientific papers on the topic that provide clarity, allowing you to form your own opinion.

The matter of the fact is: there is a lot of ignorance when it comes to bees, biodiversity, and conservation. Simple solutions to complex problems are often advocated, which benefit solely a few species. In the worst case, some of these hastily thought-out conservation measures can lead to the deterioration of an entire ecosystem.

Unfortunately, this is also the case with many honeybee projects, as indicated by a new study from Canada. In the article published in 2023, scientists led by Gail MacInnis show that native wild bee species are being displaced by introduced honeybees. Even though the intention behind introducing honeybees is good, it can have a negative impact on biodiversity. From an ecological perspective, introducing honeybees is not effective. Instead, it makes more sense to implement other conservation measures, which we will explain below.

Honeybees vs. Wild Bees

Not all bees are the same. Regrettably, many people who are only familiar with honeybees still do not realize this. In Germany alone, there are over 585 different wild bee species, and worldwide there are over 20,000. Each wild bee species plays a crucial role in its respective ecosystem, pollinating specific plants or serving as food for other animals. Unfortunately, due to insect decline in Germany, 40 to 60 percent of wild bee species are endangered.

One bee species not facing extinction is the Western honeybee (Apis mellifera). Alongside cows and pigs, the honeybee is one of the most commonly domesticated animals in Germany. Beekeepers keep honeybees for their delicious and healthy products, such as honey, propolis, and royal jelly. Additionally, honeybees provide essential pollination services in agriculture. In countries like Ghana, honeybees are a source of income for people in rural areas. Demonizing honeybees across the board is undoubtedly misguided, as we would have less fruit, vegetables, nuts, and, of course, honey without them.

Beekeepers and their honeybees provide invaluable services to humanity. However, setting aside our anthropocentric worldview for a moment, we realize that natural ecosystems do not necessarily benefit from honeybees. This is especially true when honeybee colonies from outside are introduced into existing (and functioning) ecosystems. Introduced honeybees become direct competition for native insects. When there is a limited food supply and suddenly millions of hungry individuals are introduced, the food becomes scarcer for everyone. Additionally, as with any mass animal husbandry (and indeed, beekeeping is often a form of mass animal husbandry), diseases and parasites can emerge, which can also affect other animals.

Decline in Biodiversity of Wild Bees in Urban Ecosystems

In her article “Decline in wild bee species richness associated with honey bee (Apis mellifera L.) abundance in an urban ecosystem,” scientist Gail MacInnis demonstrates this trend in the Canadian metropolis of Montreal. In her study, researchers compared data on bee populations in Montreal in 2013 with data from 2020. Within these seven years, nearly 3,000 honeybee colonies were introduced to Montreal. At first glance, this may not seem like much. However, considering that a healthy bee colony has around 50,000 bees, it can be assumed that more than 150,000,000 honeybees were brought into the city.

Of course, this massive introduction of honeybees leaves its mark on the ecosystem. Mites, viruses, and other pathogens were carried into the city along with the honeybees, affecting native wild bee species. Furthermore, MacInnis demonstrated that there was less pollen in places with many beehives. Overall, these factors led to a significant decrease in the richness of wild bee species in Montreal since 2013.

Less Food, More Diseases

In an interview with Concordia University, co-author Carly Ziter draws a fitting comparison: “Just as we wouldn’t advocate keeping backyard chickens to save the birds, we shouldn’t look to beekeeping to save the bees.” Instead of keeping honeybees, Ziter suggests creating more habitat for other insect species.

Indeed, there are various conservation measures that promote insects without harming other species. An excellent overview is provided in the interdisciplinary article “Solutions for humanity on how to conserve insects,” published by international scientists in 2020.

Firstly, it must be understood that conservation measures are landscape-specific. This means there are no one-size-fits-all conservation measures for forests, water, and cities. In cities and other urban ecosystems, there is a scientific base for the following conservation measures:

- Planting strips of native wildflowers

- Using facade and roof greening

- Preserving old trees

- Planting native shrubs, perennials, and trees

- Creating green and blue areas

- Reducing light pollution

- Using non-reflective photovoltaic systems

This list is not exhaustive and continues to grow. For forested areas, bodies of water, and agricultural land, there are other evidence-based measures outlined in the aforementioned article. In summary, all insect protection measures should aim to create “high-quality habitats.”

Conclusion: How Do We Save the World?

Biodiversity is too complex to be saved by a single measure. Introducing honeybee colonies may have a positive effect on pollination services, but native wild bee populations suffer as a result. Such simple solutions do not do justice to the complex interconnections of biotic life, and can even negatively impact entire ecosystems.

Instead of focusing on individual species, high-quality habitat should be created for all wild animals. To achieve this goal, many small (and a few large) steps are necessary. To protect and promote insect populations in cities, there are many low-threshold measures that have a positive, measurable effect. Planting flowering strips or using roof and facade greening systems is relatively inexpensive when considering that insects are the foundation of entire ecosystems. However, setting up honeybee colonies, unfortunately, will not stop the biodiversity crisis or the decline of insects.

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